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Herb Lubalin

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Event

Die zweite Typo St. Gallen

Rudolf Paulus Gorbach
28. Oktober 2013
Wie wichtig der Weissraum für eine gelungene Gestaltung ist, müssen Gestalter wohl häufig ihren Kunden erklären. Jetzt hat die Tÿpo St. Gallen ihn zum Leitthema für die dies­jährige Tagung gemacht.

Hanna Ruegg beginnt den Tag mit einer Erzählung über die Kultur­ge­schichte der Farbe weiß.

Sie fragt, was an Wörtern mit der Farbe weiß zusam­menhängt. Weiß ist verwandt mit Licht, dem Leuchten, oder dem Weizen und dem weißen Mehl. Anhand von Ingres’ »Raub der Europa« von 1825 versuchte sie Bedeu­tungen der Farbe Weiß zu erläutern: Der weiße Stier, das Unschuldige, der weiße Schwan. Zeus als Blit­ze­schleuderer, Weiß als Unschuld, Jung­fräu­lichkeit, auch weiter­führend, nicht böse denkend. Das lebens­spendende Weiß, Sperma, die behütende Weib­lichkeit.

Weiß als Farbe gibt es erst etwa so lange wie die Zahl Null. Jasper Johns’ Ziffer 0 tritt auf. Der Papst darf weiß gewandet sein – Weiß als Weisheit? Und da stutze ich dann, auch durch Rüggs sehr emotionale Sprache. Für wen spricht sie, für Kinder? Mir kommt es wie eine »Weiß­andacht« vor.

Malevitch wird mit der Wahrheit des Nichts zitiert. Die Gedanken Kand­inskys zum Weiß, Weiß als Schweigen, oder wie klang die Erde zur Zeit der Eiszeiten? Weiße Flecken auf der Weltkarte. Das Weiß mit einer (Schein-) Bedeut­samkeit in der Werbung von Daimler-Benz oder das Weiss beim Putzen und Waschen.

Inter­essant wäre schon, was die vielen jungen kommenden Gestalter, die im Saal waren, damit anfangen können. Weißes Pass­partout für den Tag, sagt hierzu der Moderator der Tagung, Clemens Schedler auf esote­rische Weise.

Veronika Burian von »Type­to­gether, auch als Netzwerk« zeigt einige recht unbe­deutende Filmchen ohne Infos. Raum und Stille könnten auch schwarz sein. Der Rhythmus, die Form und Gegenform bedeuten im Type­design, dass der Buchstabe zwei Formen hat, das Schwarz und das Weiß. Beim Gestalten eines Buch­stabens »gestaltet« Burian eher das Weiß. Die optische Wahr­nehmung der Innenräume des Buch­stabens ›o‹. Die Unre­gel­mä­ßig­keiten in Pres­sen­drucken werden geliebt. Aber warum eigentlich? Und je mehr Veronika Burian in die Details geht, umso inter­es­santer werden ihre Ausfüh­rungen zu einem Mikro-Weißraum. Ein Vergleich unter dem Mikroskop, verschiedene Druck­ver­fahren und unter­schiedliche Papier­sorten. Wenn die Regel­mä­ßigkeit der Schrift zu linear wird, leidet in langen Texten die Lesbarkeit. Das wichtige Gleich­gewicht des optischen Buch­sta­be­n­aus­gleichs zeigt sie verständlich auf, spricht aber bisweilen nebulös über Lesbar­keits­probleme.

Dann noch ein inter­es­santer Hinweis aus dem Rezept­kasten: Die Zeiche­n­ab­stände einstellen mit »n« und »o« beginnen. Je fetter die Schrift, desto weniger Zwischenraum, aber nicht bei mageren Schriften. Persönlich hat Burian eine Abneigung gegen das Kerning und lässt es von einem Spezi­a­listen durch­führen.

Joost Hochuli erläuterte eine Auswahl hand­ge­schriebener Briefe. Mit der klas­si­zis­tischen Schrift nahm gleich­zeitig durch die Verwendung schnelleren Drucks die Qualität der Schrift­wie­dergabe ab. William Morris hatte dann für eine Wieder­be­sinnung auf alte Qualitäten gesorgt – in einer neuen Inter­pre­tation. Edward John­stones frühe schöne Arbeiten sind zu sehen, die auf dem Schreiben und der Kalli­grafie basieren. Alfred Fairbanks hatte eine Hand­schrift­reform entwickelt, die in England weit verbreitet ist. Diese Meister schrieben mit Breit­federn in 45-Grad-Haltung. Dazu deutliche Ober- und Unter­längen. Und das gilt auch für Paul Standard, Max Caflisch oder Gerit Nordzey.

Kurt Höretzeder berichtete darüber, wie die Typo­grafie-Initiative mit dem Namen »Weißraum« mit Vorträgen und Seminaren Ende der 1980er Jahre in Innsbruck begann. Es könnte fast so gesehen werden, dass der Inns­brucker Weißraum als Thema für die St. Gallener Tagung diente. Was bedruckte und unbe­druckte Flächen bedeuten könnten, kann gerätselt werden (Typo­grafen wissen es jedoch). Dazu meint er, dass auch Tirol im Hinblick auf Typo­grafie ein »Weißraum« sei, und zwar jetzt, 115 Jahre nach der TGM, werde alles besser.

Prominente Redner waren bereits in Innsbruck (Bohatsch, Ruedi Baur, Sagmeister, Rathgeb, Rolf Müller, Weidemann). Er spricht auch das Problem der Region an, denn wer in der Ferne arbeitet, kommt oft nicht mehr zurück. Es geht um Austausch, Vernetzung, ein offenes Konzept gegen den Überdruss auch in der Kommu­ni­ka­ti­ons­branche. Reine ästhe­tische Diskus­sionen sind nicht ausreichend. Er fragt, ob die heutigen grafischen Formen eine positive Wirkung auf die Menschen haben. Er nennt Glück und Archi­tektur im Sinne von Alain du Botton, Otl Aicher als wichtigen Philosoph für unsere Branche sowie das, was Kultur und Gesell­schaft heut­zutage zusam­menhält.

Der Werkraum Vorarlberg wird sehr empfohlen, und kulturelle Initiativen kommen oft aus der Provinz. Am Ende zitiert Höretzeder Peter Handke: »Das Handwerk dient nur dazu, etwas nicht zu tun«.

Susanne Zippels äußerst inter­essante Darstel­lungen begannen zunächst fast kurios in betonter Schüch­ternheit. Doch davon konnte alsbald vor allem inhaltlich gesehen keine Rede mehr sein.

Sie spricht über fern­östliche Weis­heiten und dass wir unserer eigenen Denkweise oft nicht bewusst sind. Zitat: »Wir können das Gesicht des Berges Lu nicht sehen, solange wir uns in ihm aufhalten.« Taoismus als der Weg auf der Suche nach der höchsten Möglichkeit.

Gelas­senheit und Geduld sind erfor­derlich, wenn man sich mit der chine­sischen Schrift beschäftigt. Die chine­sische Schrift spricht vom Lesen in »Silhouetten« und hat eine enorme Komplexität, mit bis zu 36 Strichen auf einem Schriftfeld. Die enorme Vielfalt erfordert großes Enga­gement beim Lesen und Schreiben.

Die Erwei­te­rungen und Möglich­keiten des chine­sischen Denkens werden zum Ausdruck gebracht, während die Schrift Japans erst im 6. Jahr­hundert entstand. Im Westen zeichnet sich die Schrift durch rationale Zahlen­systeme aus. Die Erwei­te­rungen und Möglich­keiten des chine­sischen Denkens werden zum Ausdruck gebracht, während die Schrift Japans erst im 6. Jahr­hundert entstand. Aber anderes Sprechen in China als im Westen: Es muss nicht erst zu Ende gedacht werden, bevor man spricht. Aber alles Grund genug, um sich mit Zipfels Buch »Fach­chi­nesisch Typo­grafie« zu befassen.

Die Fort­s­etzung der klas­sischen Schweizer Typo­grafie in New York geschieht durch Willi Kunz. In seinem Thema »Mikro und Makro« sieht er Weißraum wie Leerraum gleich, bemerkt kritisch den geistigen Leerraum im Kopf junger Menschen, da er bei der Erwähnung wichtiger Namen oft leere Blicke erntet. Viele junge und zukünftige Gestalter seien nicht an Theorien inter­essiert. Eher würden sie Arbeiten anderer aus Büchern kopieren. Wie wichtig Typo­grafie sein könnte, vergleicht er am Beispiel der Archi­tektur.

Er nennt seine eigenen Quellen: Davidshofer-Zerbe, Ruder, Hofmann, Müller-Brockmann oder Gerstner. Eine typo­gra­fische Arbeit ist sowohl optisch als auch geistig anspruchsvoll. Und er behauptet auch, dass jede gestal­te­rische Aufgabe mithilfe von typo­gra­fischen Mitteln gelöst werden kann.

Kunz zeigte Aufga­ben­lö­sungen seiner Studenten, bei denen Zeichen aus bisherigen Zeichen neu zusam­men­gesetzt wurden. Seine eigenen Arbeiten bestechen durch sehr schöne Basis­konzepte. Allerdings gibt es eine Behauptung von Kunz, die einen Wider­spruch heraus­fordert: Typo­grafie wird durch die Anordnung der Wörter kreiert, nicht durch die Wahl der Schrift. Natürlich trifft das zu, aber es setzt gleich­zeitig die Schriftwahl auf Null, was mögli­cherweise ein Schwachpunkt der klas­sischen Schweizer Typo­grafie ist oder war.

Am ersten Tag sprachen Matthieu Lommen, Jonas Vögeli und Erik Spie­kermann. Ich war leider noch nicht dabei, weshalb ich darüber nicht berichten kann. Nur so viel, die Stimmung der Teil­nehmer war sehr gut, sozusagen »angemacht«, und das hielt sich auch noch die restliche Zeit.

St. Gallen bedeutet aber auch Tradition der Bücher. So gab es am dritten Tag reichlich Gele­genheit, in der Stifts­bi­bliothek in den über­großen Filz­pan­toffeln herum­zu­schlurfen, wunderbare Hand­schriften und frühe Drucke zu sehen. Kompetent und durchaus locker erläutert von Silvio Frigg und Roland Stieger. In der Gruppe, an der ich teilnahm, entstand unter anderem eine inter­essante Diskussion darüber, woher die strin­genten Rand­pro­por­tionen bei Hand­schriften und ebenso in Inku­nabeln wohl kommen. Das jedoch leider nur im Ansatz.

Beim anschlie­ßenden Typowalk durch das ruhige Sonn­tag­mittags-St.-Gallen hatte ich das Vergnügen, von Florian Hardwig geführt zu werden. Diese »Bege­hungen« erfreuen sich großer Beliebtheit und sind auch sehr amüsant, weil Gutes neben Mise­rablem vort Ort diskutiert werden kann.

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