typographische
zitate
Gute Schrift, richtige Anordnung – das sind die beiden Pfeiler aller Schriftkunst.
Jan Tschichold

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Elsenheimerstraße 48
80687 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Buchbesprechung

Hand to Type

Oliver Linke
4. März 2013
Es war nur eine Frage der Zeit, dass nach dem regel­rechten Hype um Hand­schriften und Schreib­schriften in den letzten Jahren endlich ein Buch zu diesem Thema erscheinen würde. Unzählige Schrift­ent­werfer hatten sich dank der Möglich­keiten von OpenType der Aufgabe gestellt, digitale Schriften zu entwickeln, die die Vari­a­bilität der Hand­schrift in sich tragen. Emotion und Mensch­lichkeit statt tech­nischer Kühle und Gleich­för­migkeit.

Jan Middendorp hat sich dem »Huma­nistic Turn« im Type Design gewidmet und weltweit Designer, Künstler und Experten gebeten, die verschie­densten Aspekte »hand­ge­machter« Schriften zu beleuchten. Heraus­ge­kommen ist nicht – wie man viel­leicht annehmen könnte – ein bloßes Bilderbuch schrift­künst­le­rischer Ergüsse, sondern eine echte Ressource mit wert­vollen Beiträgen in Bild und Text.

Der Inhalt (siehe auch Inhalts­ver­zeichnis unten) teilt sich in drei Teile. Im ersten kommen Experten zu Wort, die sich mit Geschichte und Evolution geschriebener Schrift ausein­an­der­setzen. Außer­ge­wöhnlich ist dabei, dass hier nicht nur die latei­nische Schrift besprochen wird, sondern auch andere Schrift­systeme ins Auge des Betrachters gerückt werden. Die Viel­fäl­tig­keiten der japa­nischen und indischen Schrift­systeme, die weit verbreitete kyril­lische Schrift, aber auch exoti­schere Kandidaten wie die deutsche Kurrent­schrift oder die Amsterdamer Krul­letter. Die Autoren lesen sich dabei wie das Who-is-who der inter­na­ti­onalen Schrift­ge­stal­terszene. Eine ausführliche Geschichte der west­lichen Hand­schrift gibt es (sinn­vol­lerweise) nicht, hierüber ist ausreichend Literatur vorhanden.

Im zweiten Teil kommen die Macher zu Wort. Interviews mit neun Gestaltern beleuchten das aktuelle (Hand)Schrift­schaffen. Dankens­wer­terweise sind die Inter­view­partner nicht altbackene Kalli­grafen, die seit Menschen­ge­denken Schwänzchen gefederte Alpha­bet­teppiche auf dunklen Papieren präsen­tieren. Es geht um zeit­ge­nös­sische Schriftkunst, die sich mit modernen Mitteln und Inten­tionen in Szene setzt. Durch Vermi­schungen mit Body Art, Lichtin­stal­la­tionen, Graffiti oder auch Corporate Design werden hier neue Maßstäbe gesetzt, anstatt fort­während die gleichen schwung­vollen Federzüge zu wiederholen.

Schließlich liefert der dritte Teil noch das zu erwartende »Bilderbuch«. Über­schrieben mit »Portfolio & Process« werden Arbeiten von 77 Kalli­grafen, Schrift­künstlern, Grafik- und Type­de­signern gezeigt, hin und wieder mit kurzen Beschrei­bungen über den Entste­hungs­prozess. Die aller­meisten Arbeiten stammen dabei aus den letzten fünf Jahren und spiegeln somit bestens den zeit­ge­nös­sischen Umgang mit Schrift wider, natürlich auch mit den Über­gängen ins Digitale oder ins Type­design. Auch wenn hier das Haupt­gewicht auf west­licher (latei­nischer) Schrift liegt, so sind doch einige »nicht­la­tei­nische« Autoren darunter, wie zum Beispiel Hassan Massoudy mit seinen kraft­vollen arabischen Kalli­grafien, El Seed mit seinen arabischen Graffiti oder Marina Marjina mit ihren »kalli­gra­fischen Etüden« in kyril­lischer Schrift. Trotz der erstaun­lichen Fülle bietet dieser inspi­rierende Portfolio eine durchweg hohe Qualität.

Bleibt nur eines zu sagen: Danke für dieses rundherum gelungene Buch!

Aus dem Inhalt:

A) Spezialisten Essays

  • Patrick Griffin: Alphabets from parallel universes
  • Shoko Mugikura: Japanese writing
  • Kimya Gandhi & Dan Reynolds: The many faces of india
  • Alexei Vanyashin: Cyrillic
  • Nadine Chahine: What arabic is and what it is not
  • Florian Hardwig: Kurrentschrift
  • Ramiro Espinoza: The "amsterdamse krulletter"
  • Rick Cusick: Hallmark – influences and inspiration

B) Interviews

  • Ken Barber
  • Timothy Donaldson
  • Tony di Spigna
  • Gemma O’Brien a.k.a. Mrs. Eaves
  • Luca Barcellona
  • Niels Shoe Meulman
  • Reza Abedini
  • Brody Neuenschwander
  • Gabriel Martínez MeaveC) Portfolios
  • Alex Chekal, Ukraine
  • Alejandro Paul,Argentina
  • Alexej Vanyashin, Russia
  • Alison Carmichael, United Kingdom
  • Allan Daastrup, Denmark
  • Angel Koziupa, Argentina
  • Brian Jaramillo, Usa
  • Brody Neuenschwander, Belgium
  • Charles Borges de Oliveira, Usa
  • Claire Coullon, United Kingdom
  • Cláudio Gil, Brazil
  • Cyrus Highsmith, Usa
  • Dan Reynolds, Germany
  • Dana Tanamachi, Usa
  • Daniel Sabino, Brazil
  • Dave Foster, Australia
  • El Seed, Tunisia
  • Erik Marinovich, Usa
  • Erik Van Blokland, Netherlands
  • Florian Hardwig, Germany
  • Francesca Biasetton, Italy
  • Gemma O’brien, Australia
  • Greg Papagrigoriou, Greece
  • Rick Cusick, Usa
  • Hassan Massoudy, France
  • Iman Raad, Iran
  • Inocuo The Sign, Spain
  • Irina Shkarovsky, Ukraine
  • Jackson Cavanaugh, Usa
  • Jaime De Albarracín, Peru
  • James Edmondson, Usa
  • Jean-Baptiste Levée, France
  • Jill Bell, Usa
  • Job Wouters, Netherlands
  • John Gray, United Kingdom
  • John Stevens, Usa
  • Jon Contino, Usa
  • Julia Sysmäläinen, Finland
  • Ken Barber, Usa
  • Gabriel Martínez Meave, Mexico
  • Kossyo Kokalanov, Bulgaria
  • Kinya Gandhi, India
  • Laura Meseguer, Spain
  • Laura Varsky, Argentina
  • Laura Worthington, Usa
  • Elena Albertoni & Fritz Grögel (Letterinberlin), Germany
  • Lila Symons, Usa
  • Louise Fili, Usa
  • Luca Barcellona, Italy
  • Marenthe Otten, Netherlands
  • Marina Chaccur, Brazil
  • Marina Marjina, Russia
  • Martina Flor, Germany
  • Massimo Polello, Italy
  • Misha Karagezyan, Russia
  • Nadine Chahine, Germany
  • Native & Zen Two, France
  • Neil Tasker, Usa
  • Niels Shoe Meulman, Netherlands
  • Oriol Miró, Spain
  • Patrick Griffin, Canada
  • Paul Shaw, Usa
  • Pierre Jeanneau, France
  • Ramiro Espinoza, Netherlands
  • Reza Abedini, Iran
  • Ricardo Rousselot, Argentina
  • Robert Leuschke, Usa
  • Sabrina Lopez, Argentina
  • Seb Lester, United Kingdom
  • Sergey Shapiro, Russia
  • Shoko Mugikura, Japan
  • Stephen Rapp, Usa
  • Timothy Donaldson, United Kingdom
  • Tony Di Spigna, Italy
  • Underware, Netherlands / Finland
  • Vitaandvikalopukhiny, Ukraine
  • Wissam Shawkat, United Arab Emirates

Jan Middendorp, Hendrik Hellige, Robert Klanten:
Hand to Type – Scripts, Hand-Lettering and Calli­graphy
Gestalten Verlag, Berlin, 2012
240 Seiten
Format 24 × 30 cm
durchweg in englischer Sprache
ISBN 978–3–89955–449–6
39,90 EUR
www.gestalten.com

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Schön­schrift bis Kugel­schreiber

Rudolf Paulus Gorbach

Nachdem sich der Begriff »Lettering« von seiner ursprüng­lichen Bedeutung zu einem modischen Trend gewandelt hatte, rückte die persönliche Hand­schrift natürlich immer mehr in den Mittelpunkt des allge­meinen Interesses.

Christine Nelson: Zauber der Schrift
Branche

Liebe Klara, heißt die Schrift

Rudolf Paulus Gorbach

Ulrike Wilhelm hat während ihres Studiums an der Fach­hoch­schule Potsdam viel gezeichnet und viele Icons entworfen, die sie auch in irgendeiner Form anwenden wollte. Das Hand­ge­machte war ihr dabei immer sehr wichtig. Und nach vielen Icons wollte sie auch eine Schrift dazu haben.

Buchbesprechung

Schrift­studium in Deut­schland

Rudolf Paulus Gorbach

Für die Geschichte des Blei­satzes im 20. Jahr­hundert ist Leipzig mit seinen engen Verbin­dungen zum graphischen Gewerbe, zu Schrift­gie­ßereien und Buch­verlagen von zentraler Bedeutung.

Sansa von Fred Smeijers, 2003
Buchbesprechung

Checkliste für optimale Schrift

Rudolf Paulus Gorbach
Michael Bundscherer

Bücher zum Thema Schrift gibt es nicht wenige. Möchte sich ein neues Werk vom Rest abheben, muss es mehr bieten, als Fach­be­griffe bebildert zu erklären. Mit »Schrift. Wahl und Mischung«, einem fast 1.660 Gramm schweren Buch – das man so beispielsweise auch als kleines schwarzes Podest verwenden könnte – ist nun ein weiteres erschienen. Kann dieses Buch Neues bieten?

Event

I’m still confused but on a higher level

Sandra Hachmann

Ein Münchner Winterabend im Lehel. Wo bitte geht es zum Atelier von Johnny Koch? … Bling-Bling. Durch den Gang des Wahnsinns mit feuer­festen Glit­zer­decken, elek­trischen Teelichtern und einer Ziertafel, die ermahnt, Omi anzurufen …

Kunstdonnerstag
Buchbesprechung

Lust am (Schön)Schreiben

Rudolf Paulus Gorbach

Hand­let­tering ist eher entfernt mit Typo­grafie verwandt. Die Typo­grafie arbeitet mit möglichst fein ausge­ar­beiteten Schriften. Dabei spielt die Lesbarkeit eine heraus­ragende Rolle. Während die Kalli­grafie manchmal die Entwicklung von Druck­schriften unter­stützt, macht das Hand­let­tering etwas ganz anderes. Hand­let­tering steht für sich selbst, zeichnet Buch­staben relativ frei.