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Buchbesprechung

Entdeckung: ein brasilianischer Designpionier mit Ulmer Wurzeln

Silvia Werfel
30. Mai 2014
Alexandre Wollner absol­vierte von 1954 bis 1958 nach seinem Studium in São Paulo zusätzlich ein Aufbau­studium an der HfG Ulm. Er war nicht der einzige Brasi­lianer, der dort studierte. Zwei Ausstel­lungen in São Paulo waren 1951 der Beginn  zahl­reicher trans­at­lan­tischer Bezie­hungen.

Die Max-Bill-Retro­spektive im Museu de Arte de São Paulo und die erste Biennale des Museu de Arte Moderna de São Paulo hatten 1951 neben Konkreter Kunst und Gestaltung auch die Bauhaus-Idee nach Brasilien gebracht.

Das Buch »alex wollner brasil. design visual« bringt uns nun einen Gestalter und Künstler näher, der bei der künst­le­rischen, kultu­rellen und ökono­mischen Begründung des modernen brasi­li­a­nischen Designs eine Schlüs­selrolle spielte und der bis heute großen Einfluss auf die Desi­gnszene Brasiliens ausübt.

Erschienen ist es anlässlich der gleich­namigen Ausstellung des Museums Ange­wandte Kunst im Herbst 2013, als Brasilien Gastland der Inter­na­ti­onalen Frank­furter Buchmesse war. Die Entdeckung des 1928 in São Paulo geborenen Grafik­de­signers haben wir vor allem Prof. Dr. Klaus Klemp und seiner Juni­or­ku­ratorin Julia Koch im Museum zu verdanken. Schon die Ausstellung – erste Wollner-Retro­spektive in Europa – war mit der Archi­tektur von Mario Lorenz ein Glücksfall.

Das Buch präsentiert ein Lebenswerk und ist doch weit mehr als nur die Berufs­bio­grafie eines so humorvoll kreativ wie akribisch und verant­wor­tungs­bewusst arbei­tenden Gestalters. Es erzählt auch von den Umbrüchen und Neuan­fängen in Deut­schland und Brasilien nach 1945, und es behandelt ganz grund­sätzliche Fragen zu Kunst, Design(geschichte) und Arbeitsethos. Plakate und Verlags­projekte werden vorge­stellt. Besonders hervor­zuheben sind Wollners Erschei­nungs­bilder für die unter­schied­lichsten Indus­trie­un­ter­nehmen in Brasilien. Die Konzepte waren stets maßge­schneidert und umfassend. Manches wurde zur Marken­design-Ikone, wie beispielsweise die in ganz Brasilien bekannten Fischdosen für Coqueiro.

Das Bild­ma­terial ist eine Fundgrube; die hervor­ra­genden Text­beiträge widmen sich folgenden Themen: Klaus Klemp bietet einen desi­gnge­schicht­lichen Überblick, René Spitz liefert Hinter­grund­in­for­ma­tionen zur Ulmer HfG und ihren Bezie­hungen zu Brasilien, Malou von Muralt hat Alex Wollner interviewt. Der 2013 verstorbene Gestal­ter­kollege und Filme­macher André Stolarski und Alex Wollner selbst stellen die einzelnen Arbeits­be­reiche vor.

Er »war theo­riefähig, aber nicht theo­riegläubig«, so charak­te­risiert Klaus Klemp ihn in seinem Überblick (S.26) und betont an anderer Stelle: »Wollner geht es nicht um eine mathe­ma­tische Bere­chen­barkeit gestal­te­rischer Formen, auch nicht um dogma­tische Systeme. Worum es ihm geht, ist eine ebenso effi­ziente wie ästhe­tische Kommu­ni­kation« (S.27).

Diesen Ansatz reprä­sentiert das Kata­logbuch aufs Schönste. Frei von folk­lo­ris­tischem Lokal­kolorit zeigt es ein wohl durch­dachtes, nahezu unauf­fälliges Gestal­tungs­konzept: ein Layout mit variablem Seiten­raster und viel Weißraum, dazu als einzige Schrift die Rotis Semi Sans – sie funk­tioniert im Mengensatz hervor­ragend, wie ich als Rotis-Skep­tikerin neidlos aner­kennen muss. Grund­legend ist dafür die feine Abstimmung von Zeilenlänge, Flat­tersatz und Durch­schuss. Auch die Zwei­spra­chigkeit ist denkbar simpel unter­schieden: die englischen Spalten beginnen immer oben, die deutschen sechs Zeilen tiefer. Orien­tierung mit einfachsten Mitteln. Die Einband­ge­staltung stammt von Alex Wollner selbst, das Layout aus seinem Studio.

Fazit: Rundum gelungen und empfeh­lenswert!

Klaus Klemp, Julia Koch, Matthias Wagner (Hrsg.)
alex wollner brasil. design visual
Museum Ange­wandte Kunst, Frankfurt am Main;
Texte: Klaus Klemp, Julia Koch, Malou von Muralt, René Spitz, André Stolarski, Alexandre Wollner
Tübingen, Berlin, Ernst Wasmuth Verlag 2013
deutsch | englisch
324 Seiten mit vielen Abbil­dungen. 26,5 × 26 cm. Hardcover. 49 € inkl. MwSt.