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Gute Schrift, richtige Anordnung – das sind die beiden Pfeiler aller Schriftkunst.
Jan Tschichold

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Buchbesprechung

Der Type Navigator

Oliver Linke
18. Februar 2012
Endlich fasst jemand den aktuellen Stand des Schrift­designs zusammen, stellt die Macher vor und schafft damit ein unver­zichtbares Nach­schla­gewerk für die zeit­gemäße Schrif­tenwahl.

Ich gebe zu, dass ich bei diesem Thema ein wenig vorein­ge­nommen bin: Kleine, unab­hängige Schrif­ten­labels und ihre Arbeit vorzu­stellen, finde ich natürlich eine tolle Idee. Aber ich bin überzeugt, dass auch viele andere Schrift­an­wender Jan Middendorp, Lupi Asensio und Martin Lorenz für ihren »Type Navigator« sehr dankbar sein werden.

Vor die umfang­reiche Sammlung von Schrift­mustern stellt Jan Middendorp in drei kurzen Kapiteln eine sehr lesenswerte Einführung. Er beschreibt die Höhen und Tiefen der letzten Jahr­zehnte, erklärt, wofür der Begriff »Schrift« ursprünglich verwendet wurde, nennt Meilen­steine und Persön­lich­keiten, macht deutlich, was sich hinter Lizenz­ver­trägen verbirgt und vieles mehr.

Im dritten Kapitel werden die Distri­butoren vorge­stellt: Von MyFonts, mit über 60.000 Schriften (Fonts) der (wahr­scheinlich) größte Anbieter weltweit, über Monotype, FontShop bis hin zu den kleineren wie Village (vllg.com) sind Kurz­porträts mit den wich­tigsten Hinter­grund­in­for­ma­tionen zusam­men­ge­stellt.

Der Hauptteil lässt auf rund 300 Seiten jedes Typo­gra­fenherz höher schlagen. Von den insgesamt 279 (!) Schrift­fa­briken, die im Anhang aufge­listet und jeweils in kurzen Sätzen charak­te­risiert werden, werden nicht weniger als 53 mit ihren Alphabeten ausführlich vorge­stellt. Angaben zu Grün­dungsjahr und Größe der Firma, zum Schrif­ten­angebot, zu Vertriebswegen und Preisen wurden zusam­men­ge­tragen; zu den Machern gibt es Kurz­bio­graphien. Als Einstieg gibt es meist eine Handvoll Anwen­dungs­bei­spiele, gefolgt von Schrift­mustern.

Während die Diplay­schriften entsprechend plakativ präsentiert werden, wird den Text­schriften ausreichend Platz für Text­bei­spiele in verschiedenen Abstu­fungen eingeräumt. Hier zeigt sich auch ganz deutlich der Vorteil der Buchform: Als Website wäre das Projekt zwar ständig aktu­a­li­sierbar, aber gerade bei den Text­schriften nicht annähernd so aussa­ge­kräftig gewesen.

Nebenbei sei auch den Buch­ge­staltern von TwoPoints.Net, Lupi Asensio und Martin Lorenz, ein großes Lob ausge­sprochen: Schön und über­sichtlich, Buch­ge­staltung, wie sie sein sollte. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Times einmal für eine gute Schriftwahl halten würde.

Auch für »Insider« wird dieses Buch viele neue Türen öffnen. Die zusam­men­ge­tragenen Infor­ma­tionen lassen plötzlich einen Überblick über das aktuelle Type­design entstehen, wie man ihn bislang nicht kannte. Zusam­menhänge werden greifbar. Mit etwas Muße lassen sich wahr­scheinlich sogar Schulen oder Stile verfolgen.

Wenn ich mir für die nächste Ausgabe etwas wünschen dürfte, dann wäre es ein Namens­re­gister. Vor allem aber wünsche ich uns allen eine nächste Ausgabe – viel­leicht in fünf Jahren oder so?

Bleibt noch zu erwähnen, dass dem Buch eine CD mit 100 kostenlosen Schriften beiliegt. Allerdings handelt es sich dabei meist um extreme Display-Fonts oder Demo-Fonts, bei denen wichtige Zeichen fehlen, oder um »Rand­schnitte« (z.B. Ultralight) einer Schrift­familie. Die meisten dürften auch im Netz zum kostenlosen Download zur Verfügung stehen.

Jan Middendorp & TwoPoints.Net:
Type Navigator. The Inde­pendent Foundries Handbook
320 Seiten plus CD-ROM mit 100 Fonts
Format: 24 × 30 cm
Hardcover
Gestalten, Berlin 2011
ISBN: 978–3–89955–377–2
49,90 EUR
www.gestalten.com

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