typographische
zitate
Der Raum ist frei zu tun, was er will.
Felice Varini bei seinem tgm-Vortrag

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Elsenheimerstraße 48
80687 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Branche

Das Ende einer Offizin

Michael Bundscherer
8. August 2023
Nach dem Tod des Inhabers Schu­ma­cher­Gebler wurde die renom­mierte Offizin Haag-Drugulin (OHD) geschlossen. Die hoch spezi­a­li­sierten Mita­r­beiter konnten leider nicht weiter­be­schäftigt werden.

Eckehart Schu­ma­cher­Gebler (ESG) hatte den 1829 in Leipzig gegründeten Betrieb nach der Wende über­nommen und zuletzt zehn Jahre in Dresden geführt – nicht als Muse­ums­werkstatt, sondern als Hand­werks­betrieb. Sein Ziel war es, diesen Kultur­schatz und die damit verbundenen Fertig­keiten zu erhalten und weiter­zugeben.

Das Herzstück der OHD war zum einem das histo­rische typo­gra­fische Material, das ESG in über sechzig Jahren weit­gehend privat zusam­men­­ge­tragen, gepflegt und eingesetzt hatte: Es besteht aus einzig­artigen Schriften- und Matri­zen­­schätzen, funk­ti­ons­­­tüchtigen Monotype- und Buch­druck­­ma­schinen – darunter die letzten erhaltenen Schrift­be­stände der Reichs­dru­ckerei mit über 150 verschiedenen Blei­satz­schriften sowie über zwei Millionen seltener Guss­ma­trizen der Firma Monotype, die Ende des 19. Jahr­hunderts den Maschi­nensatz revo­lu­tio­nierte, und vielen weiteren wert­vollen Schmuck­buch­staben und Orna­menten.

Zum anderen bestand es vor allem aus dem hier versam­melten, inzwischen extrem raren Wissen. Das Team der OHD bestand aus hoch moti­vierten, in den histo­rischen Techniken ausge­bildeten Mita­r­beitern. Dazu gehören Max Lotze, der jüngste Mono­type­gießer Deut­schlands, die Schrift­setzerin und Mono­type­tasterin Heike Schnotale, der Drucker Albrecht Günther und die Setzerin Ute Finger. Die Mita­r­beiter wären auch in der Lage gewesen, andere auszu­bilden und so tradi­ti­onelle Hand­werks­berufe wie Schrift­setzer, Monotype-Taster, -Gießer und Buch­drucker weiter zu erhalten.

Druck und Typo­grafie sind seit Jahr­hun­derten ein wesent­licher Bestandteil der euro­pä­ischen Kultur und Wissens­ge­sell­schaft. In vielen Ländern wird der Bewahrung des typo­gra­fischen Erbes große Bedeutung beige­messen: So werden in Frankreich »Maîtres d’Arts« ernannt, um die hand­werkliche Meis­ter­schaft in Schrift und Druck zu ehren und zu bewahren. In Deut­schland, das dank der Inno­va­ti­onskraft und Kunst­fer­tigkeit von Johannes Gutenberg (Erfinder des modernen Buch­drucks), Albrecht Dürer (Meister des Bilder­drucks), Friedrich Koenig (Erfinder der Schnell­presse) und Aloys Sene­felder (Erfinder der Litho­grafie) als Mutterland der Druckkunst gilt, gibt es jedoch keine vergleichbare staatliche Insti­tution, die sich um die Bewahrung des typo­gra­fischen Erbes kümmert.

Leider ist es offenbar äußerst schwierig, Bund und Länder für die Rettung solch bedeu­tender Einrich­tungen zu gewinnen: Die Schrift­gießerei Rainer Gers­tenberg in Darmstadt konnte nicht gerettet werden, das Welt­museum der Druckkunst in Mainz kämpft um jeden Cent und auch die Druck­werkstatt p98a von Erik Spie­kermann ist von der Schließung bedroht.

Da die Erben von Eckehart Schu­ma­cher­Gebler den tradi­ti­ons­reichen Betrieb nicht weiter­führen können, war nun auch die Offizin Haag-Drugulin und ihre Mita­r­bei­te­rinnen und Mita­r­beiter auf finan­zielle Unter­stützung ange­wiesen. Mögliche Lösungen wie eine Betei­ligung der genos­sen­schaftlich orga­ni­sierten Büchergilde Gutenberg oder ein genos­sen­schaft­liches Konzept für die Offizin schienen jedoch nicht möglich. So wurde der Betrieb Anfang 2023 einge­stellt, die Werkstatt vor Ort aufgelöst und die Beschäf­tigten nicht weiter­be­schäftigt. Um Schaden zu verhindern, wurde zwischen­­zeitlich das Inventar unter Denk­mal­schutz gestellt. Den enga­gierten Mita­r­beitern ist es zu verdanken, dass ein Teil des Materials aus dem Außen­lager in die Räume der OHD gebracht und so gesichert werden konnte.

Im März 2023 fand ein erstes Treffen mit Vertretern der Erben­ge­mein­schaft, Mita­r­beitern des Denk­malamtes und der seit Februar amtie­renden Direktorin des Museums für Druckkunst, Dr. Katharina Walter, statt. Es wurde vereinbart, dass alle Komplett­guss­schriften sowie die gesamte Monotype-Maschinerie und die Matri­zen­be­stände an das 1994 ebenfalls von Schu­ma­cher­Gebler gegründete Museum für Druckkunst in Leipzig (teilweise zurück-)gegeben werden. Bis Ende August 2023 sollen diese Exponate nun denk­mal­gerecht in Leipzig unter­ge­bracht werden.

Auch wenn das Enga­gement des Museums für Druckkunst in Leipzig nicht zu unter­schätzen ist – ein Museum ist keine Offizin. Mit der Auflösung der OHD ist eine der wenigen verbliebenen Möglich­keiten für die Ausbildung des typo­gra­fischen Nach­wuchses verloren gegangen. Ohne Ausbildung, ohne die Weiter­gabe des Wissens an die jüngere Gene­ration, hat der histo­rische Buchdruck keine Zukunft. Mit der geschei­terten Rettung dieses Unter­­nehmens geht auch die Chance verloren, ein kultu­relles Erbe für kommende Gene­ra­tionen zu erhalten.

Vielen Dank an die tgm-Mitglieder Michael Lang und Silvia Werfel für ihre wertvolle Mitarbeit bei diesem Thema.

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Bleisatz und (Buch)Druck

Rudolf Paulus Gorbach

Das Handwerk der »Schwarzen Kunst« ist wieder populär geworden. Die Gründe hierfür dürften viel­fältig sein: die Liebe zu einem hand­werk­lichen System, das es so nicht mehr gibt, und die Lust am hand­werk­lichen Machen: Setzen im Handsatz, Seiten umbrechen, Formen schließen, »echt drucken«, Werkstatt riechen.

Branche

Letterpress

Rudolf Paulus Gorbach

Lettering, Letterset, Letterpress – neue Trends im Druckwesen oder nur alte Bekannte in neuem Gewand?
Eine kurze Begriffs­de­fi­nition und die persönliche Meinung von einem Buch­druck­meister.

Letterpress-Druck. Foto: Nik, Unsplash
Menschen

In Erin­nerung an ESG

Michael Bundscherer

Heute erreichte uns die traurige Nachricht, dass Eckehart Schu­ma­cher­Gebler, unser Ehren­mitglied und lang­jähriger Förderer, von uns gegangen ist. Seine Leiden­schaft für Schrift und Druck war ansteckend und hat viele von uns inspiriert.

Eckehart SchumacherGebler am Gründungstag des »Vereins für Schwarze Kunst« am 10. August 2013.
Event

Ehrung für Eckehart Schu­ma­cher­Gebler

Susanne Zippel
Michi Bundscherer

Der Höhepunkt der Mitglie­der­ver­sammlung der tgm am 4. April 2019 war zwei­felsohne die Ernennung von Eckehart Schu­ma­cher­Gebler zum Ehren­mitglied der tgm. Die Laudatio hielt Susanne Zippel.

Eckehart SchumscherGebler mit der Ehrenmitgliedschafts-Urkunde der tgm
Menschen

ESG erhält den Gutenberg-Preis

Michi Bundscherer

»Tue Gutes und rede darüber«, ein Credo, dem auch in der Design- und Kommu­ni­ka­ti­ons­branche manch einer folgt. Manche hören sich am liebsten haupt­sächlich reden, andere enga­gieren sich und bewegen etwas. Doch nur wenige können so viel Enga­gement für Schrift und Typo­grafie vorweisen wie Herr Eckehart Schu­ma­cher­Gebler (kurz: ESG).

Branche

Post­Script-Type 1 ist am Ende, was nun?

Michael Bundscherer

Wer mit InDesign arbeitet, bekommt seit einigen Monaten einen blauen Hinweis angezeigt: »Adobe stellt Anfang 2023 die Unter­stützung für Type-1-Schriften ein«. Obwohl diese Schriften im System installiert sind, werden sie dann im Schrif­tenmenü nicht mehr angezeigt.

The End of PostScript Type 1