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Ich hatte das Glück, zu verstehen, dass die Schrift etwas Lebendiges ist.
Adrian Frutiger

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Event

Streifzüge ins Neben

Gabriele Werner
17. Oktober 2012
Zwei Teil­neh­me­rinnen unserer Reise nach Paris geben uns einen Eindruck von der Vielfalt und der Dynamik dieser Reise. Gabriele Werners lässt in ihrem Bericht die viel­fältigen künst­le­rischen und kultu­rellen Erfah­rungen der Teil­nehmer lebendig werden, Judith Häusler zeigt in ihren Fotos u.a. Kunst, Begegnung und Inspi­ration in den Ausstel­lungen von Joseph Beuys und Anselm Kiefer.

Da geht’s los: Regen. Regen. Betonskelette ruckeln an den Fenstern der Vorortbahn vorbei, aufge­lassene Fabriken, rostendes Eisen, Hoch­häuser. Das Leben in Paris-Pantin wird von Arbeits­lo­sigkeit, Krimi­nalität und Armut geprägt. Ausge­rechnet hier hat Thaddaeus Ropac das Traumareal für seine neue (monu­mentale) Dependance gefunden: eine ehemalige Kessel­fabrik, umge­staltet zu 2.000 m² Ausstel­lungs­fläche auf 4.700 m² Grund. Alles prima. Blendend weiß fräst die Umfriedung Schneisen ins triste Vorstadtgrau, zwingt den Blick auf Hinweis­schilder: Friedhof, Krema­torium, Tanz­zentrum. Es sind bereits andere hier. Es werden weitere kommen.

Unter Riesen

Auch die Künstler – Giganten: a.) Anselm Kiefer, b.) Joseph Beuys. Die Vernissage – ein (gewaltiger) Erfolg, sogar die Vogue publiziert Bilder (von den Promi­gästen natürlich). Bin wegen b.) da. Schlag’ mich also am neuver­legten Rasen vorbei hinüber zu »Iphigenie«. Himmel! Da steht ein Pferd in der Ecke auf sauberem Stroh, ein stoischer Schimmel mit frisch gestrie­gelter Mähne! Dazu die Film­do­ku­men­tation der damaligen Aktion. 1969, Frankfurt, Akademie der Darstel­lenden Künste, Aufruhr. Beuys rezitiert Fragmente aus Shake­s­peares »Titus Andronicus« und Goethes »Iphigenie auf Tauris«, schlägt die Becken, legt sich Eisen­stücke auf den Kopf. Im Hintergrund frisst ein Schimmel gelassen Heu. Ich, Iphigenie. Die Requisiten liegen jetzt hier in sauberen Vitrinen, die Becken, der Stab, das Manu­skript. »Sind das Devo­ti­o­nalien geworden?« durchfährt mich ein Schreck. Derweilen das Pferd (das lebt ja!) die Gäste fasziniert. Die meisten Smartphone-Fotos dürften den schönen Schimmel zeigen. Das nenne ich Marketing!

Drüben bei Kiefer, »die Unge­borenen«: Gewaltige Formate für die monu­mentalen Räume gemacht, (künstliche) Embryonen in later­nen­artigen Gefäßen (ganz schön) in Lebens­wasser drapiert, (reichlich) Sonnen­blumen, Blei, Schwefel, Salz – mit Material wird nicht gespart. »Der Golem«, »Die bösen Mütter«, »Mutterkorn« oder »Onan« lassen keine Frage offen. Aber ich bin ja wegen b) da. Und Paul Celan ist mir halt anders nah.

Wir fahren nach Marais zur seit heute kleinen Schwester der Galerie Ropac: »Mate­ri­alität« und »Hirsch­denkmäler« von Joseph Beuys. Judith Haeusler hat sogar an die Metro-Tickets gedacht. Wir schlendern über Kopf­stein­pflaster, an Obstläden vorbei, der Regen lässt nach. Jetzt bin ich wirklich in Paris. In der Galerie steure ich das Souterrain an. Da sind sie: Die kleinen Formate, die zarten Zeich­nungen, die Zauber­formeln, die Spuren des Gebrauchs. Mehr muss nicht sein. Gibt es aber doch: Einen Spaziergang durchs jüdische Viertel, ein Abendessen in einer gemüt­lichen Brasserie, einen groß­zügigen Schluck ehrlichen Weißens: »Auf Judith, die das alles so super hinge­kriegt hat.«

Die Frage nach dem Monu­mentalen

Am Montag scheint die Sonne, der Himmel ist blau. Wir treffen uns in der Galerie Thaddaeus Ropac in Pantin. Der Typo­gra­fischen (Topo­fische? Tipo­pa­cische Gefell.) Gesell­schaft München ist es gelungen, eine exklusive Führung (dt.) durch die Kiefer-und Beuys-Ausstellung zu orga­ni­sieren.

Über dem Areal schwebt noch der Glanz einer glück­lichen Nacht. Die schmalen Birken nehmen Kontakt mit dem Umspan­nungswerk gegenüber auf, das feine Pflaster wird gekehrt, ein paar Interviews müssen noch in den Kasten. Es ist still.

Wir gehen in die »Kiefer-Hallen«, die sich – heute beinahe menschenleer – hoch und leicht über die gigan­tischen Formate wölben. Sonst: Die Führung war wirklich hervor­ragend.

Drüben, bei Beuys, erwartet uns Jörg Schellmann, Kurator der Ausstellung, Wegbe­gleiter Beuys. Zum Auftakt wirft er uns Fragen zu, wer die Typo­gra­fische Gesell­schaft sei, welche Ideen und Interessen sie verfolge, was deren Auftrag sei undsofort. Boris Kochan holt aus, läuft warm, das könnte inter­essant werden. Wird es auch. Von Judith freundlich vorgewarnt, vermeiden wir das Thema »Fett«, aber alles andere kommt zum Gespräch, die Eigen­schaften von Filz, Eisen, Kupfer, Honig, dämpfende, leitende, kühlende, wärmende Qualitäten, das braune und das blaue Kreuz, die Stempel, die Doppe­l­objekte, die Aufführung der »Iphigenie« in Frankfurt, der Skandal in München, als die Galerie Schellmann & Klüser mit Joseph Beuys das Envi­ronment »Zeige deine Wunde« im Kunstforum, Maxi­mi­li­an­straße zeigt, »den teuersten Sperrmüll aller Zeiten«. Ab und zu macht sich das schöne Pferd (»ist dressiert, nicht sediert«) ziemlich geräuschvoll bemerkbar – der Hirten-, Bischofs-, der Scha­ma­nenstab, die Fischerweste, – die anbe­raumte Stunde hat sich längst verdoppelt. Wir (meint: er) sprechen über das Monu­mentale in der Kunst, »für Beuys war das keine Frage des Formats«. Jörg Schellmann führt uns zu »Badewanne für eine Heldin«, die in zwei schmale Hände passt. Eine (kleine) Skulptur, Holz, Eisen, die (kleine) Wanne, ein Tauch­sieder. Fertig.

Jetzt wär’ ein Kaffee gut. Wir finden eine Brasserie, schnell werden die Tische zusammen gerückt, es wird gegessen, getrunken, wohl jeder fühlt sich reich beschenkt. Auch von Anselm Kiefer (aber darüber mögen Geeig­netere erzählen). Die meisten nehmen die Einladung von Anette Lenz zu einem Ateli­er­besuch an (der, wie man hörte, anregend und herzlich war und von einem gran­diosen Abendessen gekrönt wurde). Mano und ich müssen noch eine Präsen­tation vorbe­reiten, entdecken den plüschigen Rahmen für unsere Arbeit in einer winzigen Seiten­straße – aber das ist eine andere Geschichte.

Unter wilden Tieren

Metro­fahren macht wach. Am Dienstag Vormittag treffen wir uns im Musée de la Chasse et de la Nature, das Jagd­museum der Metropole (Rue des Archives – weil das wirklich ein Geheimtipp ist). Denn, mal ehrlich: Wer würde bei seinem Paristripp auf die Idee kommen, ausge­rechnet das Jagd­museum zu besuchen? Die Typo­gra­fische Gesell­schaft. Sie weiß, dass hier Berend Hoekstra und Hilarius Hofstede, (ab spätestens jetzt auch unter ihrem Künst­lerduo-Namen »Poly­nesian Instant Geography«, kurz P.I.G. bekannt) kuratiert von Jan Teunen, eine phäno­menale, irri­tierende, sur/reale Ausstellung zu Wege gebracht haben.

In der ständigen Sammlung hängt das Wilde, unbändig Freie ausge­stopft, für die Ewigkeit präpariert an der Wand, steht stumm auf stabilen Sockeln, spiegeln Gemälde, Skizzen die Rituale der Jagd. Die Räume widmen sich einzelnen Themen; der Hirsch, der Hund, die Waffen, die Trophäen, die Vorbe­reitung des Essens, der Spei­seraum… Zwischen die Exponate des Museums haben Künstler ihre Werke geschoben, Gemälde, Zeich­nungen, Skulpturen. Die fangen das Gespräch an, der Leuchter mit dem Falken, der Waldgott mit dem Hirsch­geweih, der Braunbär mit der blauen Ziege, das wilde Leben mit dem Tod. Nahrung. Im Spei­sesaal biegt sich der zentrale Tisch unter Bergen üppig lehmiger Lappen, sie tragen feine Damen­schuhe. »Essen Sie in Deut­schland auch Schwei­nefüße?«, fragt die Führerin, die uns durch die Räume begleitet.

Trödeln im letzten Raum. Der Abschied steht schon Neben an. Ich könnte wirklich weiter­streifen. Das waren gute Tage. Danke dafür.

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