typographische
zitate
Gar mancher hat noch niemals eine gut geformte Schrift wahr­ge­nommen.
Jan Tschichold

Typographische
Gesellschaft
München e. V.

Elsenheimerstraße 48
80687 München

info@tgm-online.de
089.7 14 73 33

Buchbesprechung

Jüdische Bücherschätze

Rudolf Paulus Gorbach
7. Mai 2013
Elijahu haLewi, ein gelehrter frän­kischer Jude, kam 1541, selbst schon hoch­betagt, nach Isny, um beim Aufbau einer hebrä­ischen Druckerei zu helfen. Innerhalb eines Jahres erschienen dort bereits 15 Titel. Es entstanden asch­ke­n­asische Druc­k­lettern. Überhaupt waren seine Lebens­sta­tionen (u.a. Ipsheim, Venedig, Padua, Rom) immer mit der Arbeit an Büchern verbunden. Ittai Joseph Tamari, der an der LMU München lehrt, widmet haLewi ein eigenes Kapitel seiner Bücherreise durch sechs Jahr­hunderte jüdischen Lebens.

Diese Jahr­hunderte sind in der Baye­rischen Staats­bi­bliothek gegen­wärtig, die eine umfang­reiche Sammlung von Hebraica besitzt. Der Grundstock der Sammlung geht auf das Jahr 1558 zurück und umfasste schon damals sehr bedeutende Hand­schriften. Über die Sammlung jiddischer Drucke berichtete bereits Hans-Joachim Koppitz in »Aus dem Anti­quariat« 2007 auf Seite 311.

Elijahu haLewis’ Werk ist umfangreich vertreten. Beispielsweise finden wir das in Pesaro 1508 erschienene Werk »Mahalach schevilei hada’at« (der Gang der Gedan­kenpfade), eine hebräische Grammatik, deren schöner Satz uns (wie bei so vielen Werken) als Abbildung entge­gen­leuchtet. Die Kapi­te­lein­teilung des Buches folgt den inhalt­lichen Gruppen der Bücher. Natürlich widmet Tamari ein wichtiges Kapitel der jüdischen Bibel und ihren Kommentaren. Dabei ist die älteste Bibel­hand­schrift aus Pergament im Besitz der Baye­rischen Staats­bi­bliothek und begeistert mich in ihrer drei­spaltigen Text­anlage.

Daniel Bombergs voll­ständige Bibe­l­ausgaben werden betrachtet, die umrah­menden tradi­ti­o­nellen Kommentare zeigen ein anspruchs­volles und kompli­zierteres Satzbild (Ausgabe 1546), das von Tamari in den Bild­le­genden akribisch beschrieben wird. Und immer wird neben der Erläu­terung der Inhalte auch die Geschichte der Technik des Schreibens, Druckens und Bindens erwähnt, und die Wich­tigkeit von Verlegern und Druckern (was ja oft in einer Hand lag) kommt nicht zu kurz.

Das nicht ganz einfache Buch­system von Mischna und Talmud, Midrasch und Aggada und deren Quellen werden von Tamari anhand eines beschriebenen »Kugel­bildes« plausibel darge­stellt. Die bespro­chenen und abge­bildeten Beispiele reichen vom »Cod. hebr. 95«, einem seltenen monu­mentalen Kodex, da der ganze Talmud wie sonst in dieser Zeit nicht üblich (1342 abge­schlossen) in einem Band vereint wurde. Nicht zu vergessen ist auch, dass Ausgaben aus dem 19. und 20. Jahr­hundert genauso präsent sind, ja durch ihre Typo­grafie keineswegs gegenüber den großen Ahnen abfallen.

Unter den jüdischen Gebet­büchern fällt ein asch­ke­n­asischer Machsor auf, ein kalli­gra­phisches Meis­terwerk, dessen offenes Schriftbild auch die Hebräisch Unkundigen fasziniert.

Aber auch Unter­haltungs- und Beleh­rungs­li­teratur für Wenig­ge­bildete, Ethik und Mystik, asch­ke­n­asische Tradi­tionen und Bräuche, Haggada-Hand­schriften und die offen­sichtlich für das frühere Judentum proble­ma­tischen Bücher zu Mathematik, Natur­wis­sen­schaften und Medizin werden in eigenen Kapiteln darge­stellt.

Schließlich gibt Tamari noch einen Überblick über die Hebräisch-schriftliche Dichtung, von der biblischen Periode bis zur rebel­lischen modernen Dichtung in freiem unre­gel­mäßigem Rhythmus des 20. Jahr­hunderts. Selbst­ver­ständlich sind ausführliche (und nützliche) Register und ein wichtiges Glossar enthalten.

Typo­grafie und Gestaltung des Buches sind dem Inhalt entsprechend zurück­haltend und hervor­ragend angewandt. Druck und Repro­duktion der Bilder kann man als exzellent bezeichnen und liegt sicher auch am fach­lichen Enga­gement des Autors. Lediglich die umfang­reichen und gut infor­mie­renden Bild­le­genden – aus der mageren und schmalen Maxima gesetzt – sind bei Kunstlicht etwas schwieriger zu lesen. Trotzdem – ein wunder­schönes, sorg­fältig konzi­piertes, geschriebenes und gestaltetes Buch.

Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, Band 8. Ittai J. Tamari:
Das Volk der Bücher.
Eine Bücherreise durch sechs Jahr­hunderte jüdischen Lebens.

Heraus­gegeben von Michael Brenner und Andreas Heusler.
Oldenbourg Wissen­schafts­verlag München, 2012.
208 S., 125 Abbil­dungen, farbig, Leinen gebunden.
ISBN 978–3–486–70410–5. 49,80 Euro

Dieser Beitrag über das Buch von Itai Tamari erschien in der Zeit­schrift »Aus dem Anti­quariat« Neue Folge 11 (2013) Nr. 2.
Wir danken der Redaktion für die freundliche Abdru­ck­e­r­laubnis. Die Zeit­schrift »Aus dem Anti­quariat« ist für Bücher­freunde sehr inter­essant. Näheres unter: mvb-online.de/ada.

Weitere Blogbeiträge, die Sie interessieren könnten

Buchbesprechung

Jüdische Bücher­schätze

Rudolf Paulus Gorbach

Elijahu haLewi, ein gelehrter frän­kischer Jude, kam 1541, selbst schon hoch­betagt, nach Isny, um beim Aufbau einer hebrä­ischen Druckerei zu helfen. Innerhalb eines Jahres erschienen dort bereits 15 Titel. Es entstanden asch­ke­n­asische Druc­k­lettern. Überhaupt waren seine Lebens­sta­tionen (u.a. Ipsheim, Venedig, Padua, Rom) immer mit der Arbeit an Büchern verbunden. Ittai Joseph Tamari, der an der LMU München lehrt, widmet haLewi ein eigenes Kapitel seiner Bücherreise durch sechs Jahr­hunderte jüdischen Lebens.

Event

Jerusalem, zweiter Tag

Boris Kochan

Das Öster­rei­chische Hospiz, in dem die meisten von uns über­nachten, liegt mitten in der Altstadt und ist eine wunderbare Oase der Ruhe, etwas burgartig gebaut. Früh­morgens hört man die Hähne krähen oder den Muezzin rufen, je nach Lage des Zimmers.

Jerusalem, Israel
Buchbesprechung

Bauhaus, die Zeit­schrift

Rudolf Paulus Gorbach

Das erste Heft hatte ich aus Freude darüber vorge­stellt, dass es wieder eine Zeit­schrift »Bauhaus« gibt (siehe »Buchsucht“ Fort­s­etzung nach 89 Jahren). Nun möchte ich auf das Thema des zweiten Heftes hinweisen. Es geht um die Existenz des Bauhauses in Israel. Vor fast einem Jahr war ich mit der tgm in Israel, unter anderem auf den Spuren des Bauhauses.

Die zweite Ausgabe der Zeitschrift »Bauhaus« (Abbildung skaliert)
Buchbesprechung

Neue Befunde aus der Hirn­for­schung und Theorien zur Funktion des Lesen

Rudolf Paulus Gorbach

Lesen ist eine komplexe kognitive Leistung, bei der unser Auge als unvoll­kommener Sensor fungiert, der nur einen kleinen Teil der visuellen Infor­ma­tionen scharf erfasst. Wie unser Gehirn trotz dieser Einschränkung die Welt der Buch­staben und Wörter entsch­lüsselt, zeigen neue Erkenntnisse der Hirn­for­schung und Theorien zur Funk­ti­onsweise des Lesens.

Event

Signs of the times

Michael Lang

Die zwei­tägige Granshan-Konferenz fand im Lite­ra­turhaus mit seinem über­wäl­ti­genden Panorama über München statt. Auf der Bühne war das beherr­schende Motiv der Berg Ararat. Dieses arme­nische Wahr­zeichen verwies auf den Beginn der Idee, das sich mit nicht-latei­nischen Schriften zu beschäftigen.

Granshan-Konferenz im Literaturhaus München