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Die Aufgabe des Künstlers ist es, Ruhe und Unruhe so zu mischen, dass nicht erstarrte Unruhe entsteht, sondern jene gespannte Ruhe, die zum Ausdruck des Lebens wird.
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Buchbesprechung

Cómo crear tipografías

Oliver Linke
3. August 2012
Zugegeben, mein Spanisch ist lausig, und eigentlich sollte man keine Rezen­sionen über Bücher schreiben, die in einer Sprache verfasst sind, die man nicht fließend spricht. Dennoch geht es hier immerhin um eines der ersten Lehr­bücher (wenn nicht sogar DAS erste), das sich ausführlich dem Schrit­entwurf widmet. Und das wollte ich mir unbedingt genauer ansehen.

Wie man Schriften entwirft

Und tatsächlich: Das unscheinbare Büchlein hat es in sich. Anders als das bislang einzige ausführliche Werk zum Thema (Karen Cheng: »Anatomie der Buch­staben«, Hermann Schmidt, 2006) liefert es nicht bloße Analysen beste­hender Schriften, sondern entwickelt eine echte Lehre »von der Skizze bis auf den Bild­schirm«.

Das ist wohl kein Wunder, denn die Autoren Cristóbal Hene­strosa, Laura Meseguer und José Scaglione sind nicht nur bekannt für zahl­reiche preis­ge­krönte Schrift­entwürfe, sie haben auch an den besten Schulen (Cooper Union New York, University of Reading, Königliche Akademie Den Haag) dieses Fach studiert.

Die Autoren nutzen in den ersten Kapiteln einen raffi­nierten Stil für die Entwicklung ihrer Lehre: Kurze Abschnitte wechseln sich ab, in denen sie sich gegen­seitig berichten, erklären und Tipps geben. Diese dialog­artige Heran­ge­hensweise macht den Text etwas kurz­weiliger, man hat tatsächlich das Gefühl, als wohne man einem Fach­ge­spräch der Drei bei. Dabei wird alles ausführlich durch Beispiele illus­triert.

Nach dem ersten Kapitel zur Moti­vation (Warum sollte man überhaupt noch neue Schriften entwerfen?) folgt eine ausführliche Einführung zur Herkunft der Buch­sta­ben­zeichen aus dem Geschriebenen. Eine elementare Grundlage, die sich an der Schrift­theorie von Gerrit Noordzij orientiert und heute von fast allen Schulen gelehrt wird.

Weiter geht es mit wichtigem Basis­wissen zu Skiz­zier­me­thoden und Grundlagen zum optischen Ausgleich von Buch­sta­ben­formen. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Digi­ta­li­sierung, stellt sinnvolle Methoden vor und wiederholt dabei nochmals einige Beispiele optischer Anglei­chungen. Ebenso gibt es Hinweise zu Akzent­buch­staben und Sonder­zeichen.

Es folgt ein Kapitel zur Ausrichtung, auch bei Ziffern, mathe­ma­tischen Zeichen und Währungs­symbolen. Ebenfalls wird auf die Problematik der vertikalen Propor­tionen einge­gangen.

Schließlich wird im sechsten Kapitel der Ausbau der Schrift­familie thema­tisiert und erklärt, wie mit Hilfe der Multiple-Master-Tech­nologie Fettegrad, Breite oder andere Parameter einge­stellt werden können. Leider wird hierbei die Beschreibung der »echten Kursiven« etwas kurz gehalten und Kapi­tälchen fehlen ganz.

In Kapitel sieben wird auf die Tatsache einge­gangen, dass Schrift heute »Software« ist und dement­sprechend stark von tech­nischen Variablen abhängt. In diesem Zusam­menhang werden tech­nische Grundlagen geklärt und kurz auf die Beson­der­heiten bei nicht-latei­nischen Schrift­systemen einge­gangen.

Im achten Kapitel wird der Vertrieb von Schriften diskutiert: Lizenz­fragen, Piraterie und verschiedene Bezahlm­odelle stehen im Vordergrund. Das letzte Kapitel schließt mit »Perspektiven« im Type Design.

Im Anhang wurde ein nütz­liches Glossar erar­beitet, ein Stich­wort­ver­zeichnis wäre viel­leicht für zukünftige Auflagen noch anzuregen.

Fazit: »Cómo crear tipo­grafías« verspricht nicht zu viel: Hier wird Schrift­entwurf bis ins Detail und auf höchstem Niveau vermittelt. Auch wenn sich an wenigen Stellen Inhalte durch Auto­ren­wechsel doppeln, vermindert das die Qualität keineswegs. Wir können nur hoffen, dass bald eine englische oder gar deutsche Fassung verfügbar wird.

Cristóbal Hene­strosa, Laura Meseguer, José Scaglione:
Cómo crear tipo­grafías – Del boceto a la pantalla
144 Seiten
Format 17 × 21 cm
Tipo e Editorial, Madrid, 2012
ISBN 978–84–938654–1–2
18,– EUR zzgl. Versand
www.tipo-e.com

Nachtrag: zwischen­zeitlich wurde das Buch ins englische übersetzt:

Cristóbal Hene­strosa, Laura Meseguer, José Scaglione, translated by Chri­s­topher Burke and Patricia Córdoba
How to create typefaces: from sketch to screen
152 Seiten
Format 17 × 21 cm
Tipo e Editorial, Madrid, 2017
ISBN 978–84–938654–3–6
£24.00 + Versand
www.tipo-e.com

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